20 Sekunden Rampenlicht

Ein Aufenthalt in der Welt der Werbespot-Castings

Werbespots nerven. Werbespots unterhalten. Und oft tun sie beides gleichzeitig. Die meisten gehen gleich wieder vergessen. Einige aber schaffen es ins kollektive Gedächtnis. Dann verhelfen sie auch ihren Protagonisten zu ein wenig Ruhm. Man denke an den Herrn Fischer von der Fischer-Bettwarenfabrik in Au-Wädenswil am Zürichsee. 140 000 Mal auf Youtube angeklickt. Unzählige Male auf sozialen Medien geteilt. Ein sicherer Wert für den Small Talk.

Oder Egon Wellenbrink – der Melitta-Mann. In 130 verschiedenen Spots führte er in den 1990er-Jahren eine Kaffeetasse zu seinem Mund und wurde damit zur Kultfigur.

Solche Erfolgsgeschichten sind ein Grund, weshalb es nie an Menschen mangelt, die in Werbespots mitmachen wollen. Ein verlockender Hauch von Hollywood.

Seit etwas mehr als 50 Jahren gibt es TV-Werbung. Hier ein paar Zahlen und Fakten (Quelle: Publisuisse):

Zwei Wege gibt es in das 20-Sekunden-Rampenlicht. Einer führt über Typen wie David Haisch.

Der Jäger

Es ist Samstag. Im Zürcher Oberdorf wuchert der Frühling aus jeder Mauerritze. David Haisch trägt Seitenscheitel, ein blaues Poloshirt und Jeans. Er redet gerne und viel. Er hat auch viel zu erzählen. Er ist Jäger. Sein Job ist es, für Produktionsfirmen geeignete Personen, Motive oder Orte für Werbespots aufzustöbern. Zum Beispiel: einen Zirkusdirektor mit einem bestimmten Akzent, Violine spielende Zwillingsmädchen, ein stillgelegtes Hotel an einem gottverlassenen Ort.

Konkret geht das dann so: Schweiz Tourismus braucht zwei Bergbauern für einen «authentischen» Werbespot. Haisch fährt drei Wochen lang mit einem Mietwagen durch die Innerschweizer Bergregionen, mit Wanderschuhen an den Füssen und der Deadline im Kopf.

«Ich mache Analogrecherche», sagt er. «Ich suche nicht über Google. Das kann ja jeder!» Er gehe raus, nehme Witterung auf und klopfe auf den Busch.

Der 44-Jährige ist ein alter Hase im Geschäft. Vorher arbeitete er jahrelang in der Filmproduktion. «Wenn du einen Elefanten brauchst, der ein bestimmtes Kunststück kann, frag den Haisch», habe es in der Branche geheissen. Dann habe er sein Talent zum Beruf gemacht. Inzwischen läuft sein Business seit 15 Jahren. Es heisst Haisch Hunter.

Sein Büro befindet sich in den Räumlichkeiten einer ehemaligen Buchbinderei in der Kruggasse. Heute hat er einen langen Arbeitstag vor sich. Alle 30 Minuten wird es an der Türe klingeln. Haisch castet für einen Werbespot eines Telekommunikationsunternehmens. Der Auftrag ist streng geheim, inklusive Verschwiegenheitsklausel. «Kein Wort darüber!», mahnt er.

sucht sind drei Protagonisten. Vor zwei Wochen kam der Auftrag rein. Deadline ist morgen. Bis dahin muss er die geschnittenen Videos dem Filmproduzenten zugestellt haben. Pro Rolle castet Haisch zwischen 10 und 15 Personen. «Ist das Budget einmal gesprochen, bleibt wenig Zeit», sagt er. Warum das so ist, sei schwer zu sagen.

Vielleicht liegt es an der Struktur der Branche. Wie Haisch sagt, hat das Telekommunikationsunternehmen seine Werbeagentur, die ihre zwei bis drei Produktionsfirmen, diese wiederum ihre bevorzugten Regisseure. Am Schluss der Kette kommt die Castingagentur. «Der Kunde ist König», sagt Haisch.

Die Beute

Das Nest

Der zweite Weg hinein in einen Spot ist der gängigste. Der Schauspieler schickt sein Portfolio einer Castingagentur, wird in ihre Kartei aufgenommen und wartet – auf das Glück, zu einem Casting eingeladen zu werden.

Es ist Mittwoch. Das Wetter wechselhaft. April. Das Castingbüro Atelier 229 liegt unweit der Saalsporthalle an der lärmenden Hauptstrasse. Drinnen ist es still. Hier ist die Welt eines Werbespots zur Realität geworden: Die Räume sind hell und einladend, mit Filmplakaten an den Wänden und einer modernen Sofaecke.

Dario und Nicole Bertini sitzen sich an ihren Schreibtischen gegenüber. Seit fast 4 Jahren betreibt das Ehepaar die Agentur Atelier 229. Dario ist auch Schauspier, Nicole war Profitänzerin. Sie kennen die Welt hinter den Kulissen. «Leider ist in dieser Branche jeder austauschbar», sagt Nicole Bertini. «Deshalb zählt bei uns der Mensch hinter dem Bild. Wir setzen uns für gerechte Löhne ein und schauen, dass sich die Darsteller wahrgenommen fühlen.»

Die Bertinis arbeiten mit über 4000 Akteuren. «Ein breites Spektrum an Charakteren aller Alterskategorien und Erfahrungen», sagt Nicole Bertini.

Auf ihrer Website können Regisseure und Produzenten per Mausclick nach Profischauspielern, Schauspielstudenten, Laiendarstellern, Kindern und Jugendlichen suchen und auch die gewünschte Haar- oder Augenfarbe, die Sprachkenntnisse, die Ethnien können ausgewählt werden. «Für Jeden gibt es die passende Rolle», sagt Dario Bertini. Manchmal könne es aber etwas dauern, bis eine Chance komme.

«Die Schauspielerkartei muss immer up to date sein», sagt Dario Bertini. «Dafür investieren wir sehr viel Zeit.» Nur so sei es möglich, innerhalb von wenigen Tagen ein aufwendiges Casting zu besetzen. Und das ist überlebenswichtig. Weil: «Die Zeit drängt immer», sagt Nicole Bertini. «So ist diese Branche.» Kommt ein Auftrag rein, werden die Tage sofort lang und die Nächte kurz.

Zum Beispiel wenn Kägi-fret anruft. So sieht dann das Ergebnis aus:

Gut die Hälfte der Akteure in ihrer Kartei sind Schauspieler, der Rest Laiendarsteller und Models. «Für junge Schauspieler ist es eine gute Erfahrung, in einem Werbespot mitzuspielen», sagt Dario Bertini. Laien wiederum würden mitmachen, um ihrem Alltag zu entfliehen und hinter die Kulissen zu blicken.

Und Senioren hätten halt viel Zeit und freuten sich über die Gesellschaft am Set. «Freischaffende Schauspieler aber machen es oft wegen des Geldes», sagt er. «Es geht schlicht und einfach ums Überleben und gehört zum Alltag des Schauspielers dazu.» Das Ehepaar sagt aber auch: «Was die Schauspielkarriere angeht, sind auch andere Erfahrungen und vor allem eine fundierte Ausbildung gefragt.»

Der Schauspieler

Schauspieler machen es mit Werbespots also nicht besser, aber länger. Davon weiss Rolf Sommer ganze Musicals zu singen. Er sitzt an einem taubengrauen Freitag in der Bar im Au Premier am Zürcher Hauptbahnhof vor einem vollendet veredelten Spitzenkaffee und sagt: «Ich würde lieber nie mehr Werbung machen müssen.»

Zu unpersönlich und zu chaotisch sei die Zusammenarbeit, zu diffus die Kommunikation. «Wenn du für einen Werbespot zugesagt hast, klingelt das Telefon unaufhörlich.» Termine würden ständig verschoben, die Ansprechpersonen änderten sich laufend. Und wenn man dann dort sei, werde man mit Sicherheit vertröstet.

Rolf Sommer ist 39 Jahre alt und seit 10 Jahren freischaffender Schauspieler. Zuletzt sah man ihn auf SRF 1 vor der Kamera, zusammen mit Viktor Giacobbo, in der Boulevardkomödie «Achtung Schwiiz!». Zuvor spielte er Hauptrollen in Musicalproduktionen wie «Ewigi Liebi» oder «Schweizermacher».

Wir alle kennen Rolf Sommer, nur wissen wir es nicht.

2008 hatte er einen 6er im Lotto, wie er es nennt: Eine Werbespotserie ohne Nachteile. «Meine Mutter hat mich an der Stimme erkannt, sonst niemand», sagt er.

Das lag daran, dass er im Spot die Haare lang hatte, über dem Mund ein dicker Schnauzer thronte und er einen blauen Skianzug trug. Darauf stand die Nummer 18. Seit 2010 hat ein anderer Sommers Platz im 1818-Spot übernommen.

Ein solches Engagement ist für Schauspieler der Idealfall. Sie können die Miete bezahlen, sie bekommen Zeit für eigene Projekte, der Lohn ist wiederkehrend, der Stress bewältigbar. Unter anderem dank dem 1818-Spot musste Sommer in seinem Künstlerleben nur einmal kellnern gehen, um über die Runden zu kommen.

Er ist aber die Ausnahme. «Werbespots sind keine sichere Einnahmequelle», sagt er. «Solche Aufträge kommen höchstens ein- bis zweimal im Jahr». Auch er habe schon für Media-Markt Werbung gemacht. «Willkommen im Klub», so der Running Gag in Schauspieler­kreisen.

Für Rolf Sommer ist klar: «In Werbespots bist du als Schauspieler das letzte Glied in der Kette», es gebe zwar viel Geld, dafür aber wenig Wertschätzung. «Wir sind austauschbar, und das spürt man.»

Auch wenn die Tagesgagen für Schauspieler verhältnismässig hoch seien, werde der Lohn doch immer wieder gedrückt. «Das ist unglaublich! Diese Firmen haben ein Riesenbudget und sind dann doch knausrig.»

Die Gewerkschaft

Dass gerade bei den Schauspielergagen Geiz geil ist, das weiss Salva Leutenegger. Bei ihr sammeln sich die Klagen und Seufzer der freischaffenden Künstler.

Sie ist Geschäftsleiterin des Schweizerischen Bühnenkünstlerverbands SBKV. Am Telefon sagt sie: «Die Produzenten drücken vor allem beim Künstler, weil alle anderen Ausgaben besser erklärbar sind». Nur seine Arbeit werde bisweilen hinterfragt und nicht ernst genommen.

Der SBKV ist der grösste Verband von darstellenden Künstlern und berät und unterstützt rund 1200 Mitglieder, von Schauspielern über Sänger bis zu Souffleusen. Der Verband gibt Richtlinien für Tagesgagen heraus. Schauspieler etwa sollten keine Engagements unter 1500 Franken pro Tag annehmen. Und auch die abgetretenen Rechte, die Buy-outs, sollten den Richtlinien der Verbände entsprechen.

Der SBKV empfiehlt für die Nutzung der Aufnahmen in schweizerischen TV-Spots eine Vergütung in der Höhe einer Tagesgage, also nochmals 1500 Franken. Werden die Beiträge auch online geschaltet, sollte es zusätzliche 50 Prozent der Tagesgage pro Jahr sein.

Laut Salva Leutenegger werden gerade bei den Buy-outs die Richtlinien nicht eingehalten. «Oft bespielen die Werbeagenturen andere Kanäle, ohne den Akteur zu informieren. Oder der Spot wird länger ausgestrahlt als ausgemacht.»

Schauspielerinnen und Schauspieler kennen aber noch andere Schwierigkeiten. Viele sind finanziell unter Druck und müssen zwischen einer niedrigen oder gar keiner Gage abwägen. «Wer will, findet immer jemanden, der es auch für weniger Geld macht.»

Die Traumfabrik

Und wie ist das jetzt mit dem Hauch von Hollywood? Sind Werbespots für Schauspieler eine Tür in die Welt der Stars? Ein Anruf bei Corinna Glaus liefert Antworten. Sie ist Inhaberin eines der grössten Castingbüros der Schweiz. Seit 1997 besetzt sie nationale und internationale Filme für Kino und Fernsehen.

Wer in der Schweiz als Filmschauspieler erfolgreich sein will, kommt früher oder später bei ihr vorbei. Sie sagt: «Werbespots sind für die Karriere nicht relevant.» Sie würden kaum etwas über die Talente der Protagonisten aussagen.

«In der Werbung wird der Schauspieler oft nur zum Träger einer Information, die in 30 Sekunden vermittelt werden muss», so Glaus. Somit bleibe für die Kreativität der Schauspieler nicht sehr viel Raum.» Er müsse meist einfach ein Bild füllen. «Film oder Fernsehen ist einfach eine ganz andere Art von Arbeit.»

Werbespots können sogar kontraproduktiv sein. Laut Corinna Glaus nämlich dann, wenn der Spot über längere Zeit läuft und ein Schauspieler mit einer Werbefigur identifiziert wird. Da könne es vorkommen, dass ein Regisseur abwinke und sage: «Nein, bitte nicht dieses Gesicht. Das kennt man aus der ­Werbung.»

Text/Videos/Umsetzung: Martin Burkhalter

Bilder: Ex-Press Agentur Zürich / Martin Burkhalter

Eine Produktion der BZ Berner Zeitung.

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