Alles andere als eisige Einöde

Wald, Wüste, Gletscher und Vulkane: Auf nur 54 Kilometern liefert der Laugavegur, der populärste Trekkingweg Islands, einen erstaunlichen Eindruck der vielfältigen Landschaft auf der Insel.

Reykjavik-Thorsmörk

Nach einer viereinhalbstündigen und zumindest auf den letzten 30 Kilometern holprigen Fahrt von Reykjavik, bei der der Bus nicht weniger als 19 kleine bis mittlere Bäche beziehungsweise Flüsse durchqueren musste, erreichen wir den Ausgangspunkt des Abenteuers: Langidalur, eine Handvoll Hütten und ein idyllisch grüner Zeltplatz, praktisch am Fusse des berüchtigten Vulkans Eyjafjallajökull.

Im Gegensatz zu den drei Hütten, die auf dem Laugavegur als Zwischenstationen dienen, finden Wanderer hier einen Unterstand, um vor allfälligem Regen Unterschlupf zu finden, sowie einen kleinen Laden, der aber nur gerade das Nötigste führt. Und Bier für all jene, die sich auf die Reise einstimmen oder aber deren Ende feiern wollen: Die meisten Wanderer begehen den Weg in umgekehrter Richtung, starten also in Landmannalaugar.

Im Grunde genommen spielt die Richtung keine grosse Rolle. Wir haben uns entschieden, in Thorsmörk zu starten, damit wir erstens die längeren beiden Teilstrecken über je 16 Kilometer am Anfang haben und zweitens das Bad in der heissen Quelle in Landmannalaugar als Belohnung auf uns wartet.

Thorsmörk-Emstrur

16 Kilometer, 6-7 Stunden

Nach der ersten Nacht im Zelt und einem astronautenmässigen, aber überraschend leckeren Frühstücksmüsli aus der Tüte, dem man lediglich warmes Wasser hinzuzugeben braucht, brechen wir auf zur ersten Etappe. Getreu dem Namen der Region - Thorsmörk heisst so viel wie Thors Wald - führt der Weg durchs Grüne, vorbei an Sträuchern, Büschen und kleinen Birken.

Schon nach kurzer Zeit stellt sich uns erstmals ein Fluss in den Weg. Daher Schuhe aus-, Badesandalen anziehen (auch Crocs eignen sich hervorragend, bloss nie barfuss) und ab ins kalte Nass. Die Flüsse sind nicht überall gleich tief, auch die Stärke der Strömung variiert. Am besten eine Stelle finden, wo sich der Wasserlauf aufteilt und dann leicht schräg flussaufwärts furten, sprich queren. Wanderstöcke - man mag von ihnen halten, was man will - sorgen für zusätzliche Stabilität.

Je mehr wir an Höhe gewinnen, desto karger wird die Landschaft. Statt Bäumen und Büschen überall Steine und Sand. Für grüne Farbtupfer in der ansonsten braunen Umgebung sorgen lediglich noch einzelne Grashalme und Moos.

Nach einem letzten, steilen Aufstieg sehen wir die nächsten Hütten in Emstrur. Wer rechtzeitig bucht, kann in den Hütten auch übernachten. Nicht ganz preisgünstig (ungefähr 60 Franken pro Person, verglichen mit 15 Franken für Camper), dafür muss man auch sein Zelt nicht mitschleppen.

Emstrur-Alftavatn

16 Kilometer, 5-6 Stunden

Die zweite Etappe ist die wohl unspektakulärste. Sie führt über weite Strecken durch eine flache Wüste aus schwarzbraunem Lavasand. Anfangs fasziniert diese Landschaft mit den bemoosten, giftgrün schimmernden Bergen. Doch nach mehreren Kilometern freuen wir uns sogar, einen Fluss queren zu müssen.

Der viele Regen in den Tagen zuvor liess den Bratthalskvisl, so der Name des Flusses, stark ansteigen. Mehrere hundert Meter müssen wir vom Weg ab, bis wir eine Stelle finden, die nur knietief ist. Das kalte Gletscherwasser brennt regelrecht auf den Waden.

Kurze Zeit später kommen wir zu einem ersten Campingplatz, entscheiden uns jedoch dafür, die nächsten vielleicht vier Kilometer auch noch unter die Füsse zu nehmen. Am Alftavatn (zu gut deutsch: Schwanensee) ist die Aussicht schöner, dafür bläst der Wind stärker. Dementsprechend sollte man sich je nach Wetterlage für einen der beiden Zeltplätze entscheiden.

Alftavatn-Hrafntinnusker

11 Kilometer, ca. 5 Stunden

«Den ganzen Tag Regen»: Dieser Zettel im Fenster des Hüttenwarts lässt uns schon am Vorabend auf die dritte Etappe freuen. Bei Nieselregen Wasser zu kochen für unsere Mahlzeiten aus der Tüte, daran hatten wir uns schon gewöhnt. Unsere Rucksäcke zu packen und das Zelt abzubauen hingegen nicht. Seine sieben Sachen wieder fachgerecht zu verstauen, wohlgemerkt zu zweit in einem knapp bemessenen Zweierzelt, ist eine logistische Herausforderung und erinnert aufgrund der Körperverrenkungen an eine Yoga-Stunde.

Letztlich sollte sich die Wetterprognose einmal mehr nicht erfüllen: Nach 8 Uhr bleibt es bis am Abend trocken, mittags legen die Wolken sogar einen blauen Himmel frei. Mit Wetterumschwüngen muss man in Island jederzeit rechnen.

Dieses Mal können wir profitieren: Die Aussicht nach einem steilen Aufstieg über schätzungsweise 300 Meter ist überwältigend. Hinter uns der Alftavatn, eingebettet in grüne Matten, und vor uns die ersten Berge aus vulkanischem Gestein, inklusive Fumarolen, wo Wasserdampf aus Klüften austritt und unverkennlicher Schwefelgeruch in die Nase steigt.

Auf diesen Metern werden wir erstmals richtig schmutzig, weil sich der schmale Weg durch eine schlammig-rutschige Hügellandschaft schlängelt. Die aufgeweichte Erde erinnert mitunter an ein impressionistisches Kunstgemälde, ist der Matsch abwechslungsweise gelblich-braun, rot, weiss oder gar bläulich. Entsprechend sehen dann auch unsere Schuhe und Regenhosen aus.

Bald einmal wird der Untergrund wieder steinig und die unmittelbare Umgebung schneebedeckt, wobei die braunen Hügel im Hintergrund, die aussehen wie verwehte Sanddünen, einen schönen Kontrast bieten. War der Schnee anfangs nichts als Kulisse, müssen wir auf den letzten Kilometern immer wieder Schneefelder überqueren. Die meisten von ihnen sind unterhöhlt, Vorsicht ist geboten.

Mit insgesamt rund elf Kilometern ist die dritte Etappe die bisher kürzeste, durch das schier unendliche Auf und Ab fährt sie dennoch in Waden und Oberschenkel. Obschon bei der Hütte am Berg Hrafntinnusker Duschmöglichkeiten fehlen, sind wir nicht unglücklich, unser nächstes Zwischenziel erreicht zu haben. Also bauen wir unser Zelt hinter einer der Schutzmauern auf; solche rund 50 Zentimeter hohen, grösstenteils aus Obsidian aufgetürmten Steinmauern stehen im gesamten Campingbereich und lassen nichts Gutes erahnen.


Hrafntinnusker-Landmannalaugar

11 Kilometer, 5-6 Stunden

Tatsächlich gestaltet sich die Nacht alles andere als geruhsam: Eine Böe nach der anderen fegt unaufhörlich über den Berggipfel, und obschon es dank der Schutzmauer im Innenzelt windstill ist, flattert das Aussenzelt die ganze Zeit über lautstark im Wind. Der Lärm einerseits, die Sorge, die Befestigungen könnten nicht halten, andererseits lassen uns kaum ein Auge zutun.

Obschon der Sturm auch am Morgen anhält, entschliessen wir uns, weiterzuziehen. Unter peitschendem Regen und mit vielleicht 20 Metern Sicht kämpfen wir uns über den Berggrat. Spätestens zu diesem Zeitpunkt begreifen wir, warum der Laugavegur als «moderat» bis schwierig eingestuft wird. Und auch, weshalb er nur in den Sommermonaten Juni bis September geöffnet ist: Schon so kann man auf den Schneefeldern mangels Wegmarkierungen die Orientierung verlieren. Uns verschafft ein GPS-Gerät Gewissheit, nicht vom Weg abgekommen zu sein.

Wegen des Hochnebels können wir die Farbenpracht des Vulkangebirges auf dieser letzten Etappe nur ansatzweise erahnen, beziehungsweise kommt sie erst zum Vorschein, als wir uns wieder dem Tal nähern und sich die Schwaden lichten.

Die letzten Meter führen durch einen erstarrten Lavastrom, durch den unzählige kleine Wege führen - fast wähnt man sich in einem Labyrinth aus schroffem, jedoch überwachsenem Vulkangestein. Scharenweise Touristen, die sich in dem Feld tummeln, vergewissern uns, dass wir dem Ziel nahe sind: Täglich werden Touren von Reykjavik nach Landmannalaugar angeboten, auch für Interessierte, die keine Lust auf Wanderurlaub haben oder nicht in der körperlichen Verfassung dafür sind.

Dementsprechend voll ist tagsüber auch die heisse Quelle in Landmannalaugar: Schon auf der Plattform, die als Kleiderständer herhält, stehen sich die Badegäste auf den Füssen rum. Wohl dem, der nicht am Ankunftstag wieder abreist, sondern bis spätabends oder frühmorgens warten kann: Dann ist der «Pool» nahezu menschenleer und bildet den krönenden Abschluss eines strapaziösen, aber eindrücklichen Abenteuers.

Alles andere als eisige Einöde
  1. Reykjavik-Thorsmörk
  2. Thorsmörk-Emstrur
  3. Emstrur-Alftavatn
  4. Alftavatn-Hrafntinnusker
  5. Hrafntinnusker-Landmannalaugar
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