In der Unterwelt der Berner Altstadt

Grafik-Lab der BZ Berner Zeitung

Die lange Tra­dition der Berner Kanalisation, welcher Krimskrams im Abwasser landet und wie die Tropfsteinhöhle unter dem Aargauerstalden entstand. Eine Führung im Untergrund der Altstadt.

«Für die Besichtigung des Rathauskanals müssen Sie frei von Platz- und Höhenangst sein», steht unter anderem in den Zutrittsbedingungen. «Und Sie müssen eine robuste Nase haben», sagt Walter Steffen, der die Führungen vom Tiefbauamt der Stadt Bern leitet. Aber morgens rieche es zum Glück jeweils nicht so streng.

Der Einstieg in den Kanal, der sich unmittelbar hinter dem Rathaus befindet, ist mit mehreren Leitertritten hinunter und einer gewöhnlichen und nicht allzu steilen Treppe noch ein Leichtes. In der ersten Kurve zieht ein kleiner, beleuchteter Rahmen mit allerlei Krimskrams die Aufmerksamkeit auf sich.

«Sie können sich gar nicht vorstellen, was die Leute so alles ins Klo werfen», erzählt Steffen. Die Gebisse, Spielzeugautos, Löffel, Murmeln und was da sonst noch alles ausgestellt ist, bekräftigen seine Aussage:

Dann geht es über eine imposante Wendeltreppe schwungvoll noch einige Meter tiefer in die Erde ­hinunter. Die Tatsache, dass der Rathauskanal bereits zwischen 1627 und 1660 erbaut wurde, macht das Konstrukt noch beeindruckender. Unten angekommen, kann man einen ersten Blick auf einen der sogenannten Ehgräben erhaschen. Das erste Kanalisationssystem der Stadt Bern geht bis ins Mittelalter zurück.

Die offenen Abwasserkanäle führten zwischen den Häusern hindurch und kennzeichneten die gesetzlichen Grundstücksgrenzen. «Eh» steht für Gesetz. Die Ehgräben, die insgesamt eine Länge von sechs Kilometern haben, sind zwar mittlerweile überbaut, haben aber nach wie vor ­ihre Funktion im Kanalisationsnetz der Berner Altstadt.

Die Häufchen und das durchnässte Klopapier zeugen davon. Sogleich beginnt es auch zu riechen. Der Weg wird nun etwas holpriger. Auf schmalen Steintritten, die feucht und somit relativ rutschig sind, gehts nun steil immer tiefer hinunter. Und dann werden die Nerven der Besucher, auch derjenigen, die frei von Platzangst sind, ein erstes Mal richtig strapaziert.

An ein aufrechtes Weiterkommen ist nicht mehr zu denken. Hinter dem schwer begehbaren Stück Weg ist der Spuk jedoch bereits vorbei. Eine etwa fünf Meter lange Leiter führt ans Tageslicht oberhalb des Spielplatzes Längmuur.


An der Sonne zeigt Steffen, der bis zu seiner Pensionierung diesen Frühling als langjähriger Mitarbeiter des Kanalnetzbetriebes des Tiefbauamtes tätig war, Bilder von der Entstehung der heutigen Kanalisation. Als sich die Stadt Bern immer weiter entwickelte und in den Jahren 1866 und 1873 die Stadt zweimal von einer Typhusepidemie heimgesucht wurde, musste das Abwassersystem erweitert werden.

So wurde zwei Jahre nach der ­letzten Epidemie die Kloakenverordnung erlassen, 1922 der Sulgenbachstollen gebaut und schliesslich mit der Erstellung der Abwasserreinigungsanlage und der Zuleitungsstollen, Kanäle und Pumpwerke im Jahr 1967 der erste Ausbau der Kanalisation beendet. Bis dahin floss das komplette Abwasser ungefiltert in die Aare.

Mittlerweile sind es insgesamt 21 Pumpwerke. Dasjenige bei der Langmauer ist der zweite Punkt der Führung. «Hier wird das Abwasser vom Mättu gesammelt», erklärt Steffen und meint damit das Mattequartier.

Und bei erreichtem Niveau wird es automatisch in die höher liegende Kanalisation gepumpt.

Zum Abschluss der Führung geht es nochmals unter die Erde. Diesmal handelt es sich jedoch um ­alles andere als einen stinkenden Kanal. In der wunderschönen Tropfsteinhöhle unter dem Aargauerstalden kann man sich kaum sattsehen. Dabei entstand sie als Nebenprodukt von geologischen Abklärungen.

Im Jahre 1944 begann die Stadt mit dem Bau eines Sondierstollens für ein Schutzraumprojekt. Als sich während der Bauarbeiten herausstellte, dass der Stollen zu viel Wasser führt, wurde das Projekt gestoppt und der Eingang mit einer Eisentür verschlossen. «Erst während des Baus des Murifeld-Aare-Kanals in den 80er-Jahren hat ein Mitarbeiter des Tiefbauamtes wieder das Tor geöffnet», erzählt Steffen.

Neben den faszinierenden Kalksteingebilden gibt es in der Höhle noch etwas weiteres Spannendes zu entdecken. In einem Schaufenster sind die früheren und heutigen Arbeitskleidungen der Kanalnetzarbeiter ausgestellt.

Ausgestattet sind diese unter anderem mit einem Gaswarngerät, einer Trillerpfeife und einem sogenannten Selbstretter, der bei einem allfälligen Gasunfall Sauerstoff für 25 Minuten bereithält.

«Und vorsichtshalber geht man jeweils zu viert, zwei Mann oben und zwei unten, an die Arbeit», sagt Steffen. In Bern habe es zum Glück noch nie einen gravierenden Arbeitsunfall gegeben.

Öffentliche Führungen «Berner Unterwelt» vom Tiefbauamt wieder ab August 2016.

Text/Video: Sibylle Hartmann

Fotos: Beat Mathys

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In der Unterwelt der Berner Altstadt
  1. Section 1
  2. Im Rathauskanal
  3. Im Pumpwerk
  4. In der Tropfsteinhöhle
  5. Impressum