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    Abenteuerlustige Koreaner

    Koreaner suchen in Interlaken den Adrenalinkick

    Bilder und Text von Claudia Salzmann

    «Das ist fantastisch», schreit Sang Han und streckt die Arme in die Höhe. Der 24-jährige Koreaner steht auf der Höhematte in Interlaken und hat gerade den ersten Paraglide-Flug seines Lebens hinter sich.

    Einige Meter weiter steht Seohyung Kim und schaut sich auf dem iPad die Bilder ihres eigenen Fluges an. «Ich habe noch immer Herzklopfen», sagt die 22-jährige Koreanerin, die einige Tage in Interlaken verweilt und bei Freunden wohnt. Neben ihr steht eine Kollegin, die sich begeistert die Fotos anschaut. Sie hätte auch fliegen wollen, aber ihr Arm liegt in Gips wegen eines Autounfalles, den sie zu Hause hatte.


    Sang Han und Seohyung Kim tun, was die meisten koreanischen Touristen in Interlaken um keinen Preis verpassen wollen: Paragliding. «Koreaner sind sehr begeisterungsfähig», erklärt Nick Künzli, der Gleitschirmpilot von Seohyung Kim. Er sieht sie als angenehm, höflich und als sicheren Wert an. «Sie kommen das ganze Jahr hierhin, auch im Winter», sagt er.

    Da sie meist nicht gut Englisch sprechen, seien Koreanischkenntnisse laut Künzli von Vorteil. «Wenn man mit dem Gast nicht gut reden kann, ist es aber sowieso besser, defensiv zu fliegen», erklärt er weiter. So auch bei Seohyung Kim, der es in der Hälfte des Fluges schlecht geworden sei.

    Springen

    Beim Canyoning im Saxetental

    An Tag zwei geht es mit einer anderen Tour ins Saxetental zum Canyoning. Mit dabei sind Bang Yumi und Seo Gihye. Sie sind ebenfalls aus Korea, und beide studieren noch. Nach einer kurzen Fahrt und einem kleinen Marsch gibt der Guide Curt aus Irland letzte Anweisungen und zieht den Koreanerinnen die Schwimmweste fest. «Habt ihr verstanden?», fragt er. Die beiden nicken verschüchtert. Er wiederholt mit einigen Brocken Koreanisch und erntet mehr Verständnis.

    Nach einigen Minuten im 12 Grad kalten Flussbett wartet die erste Herausforderung: Die Koreanerinnen sollen sich von einem etwa fünf Meter hohen Felsen abseilen. Für Bang kein Problem, sie wartet unten und beobachtet ihre Freundin. Oben hat Seo Verständnisprobleme und lässt sich nicht in die vertikale Lage gleiten. Stattdessen fängt sie an zu schreien.

    Niemand hätte gedacht, dass diese zierliche Dame so lange schreien kann. Nach dem ersten Schritt wird ihr Schrei panischer. Sie stockt, ein weiterer Schritt, und dann surrt sie abwärts. Unten angekommen macht sie einen wenig eleganten Eindruck und fällt danach ihrer Freundin in die Arme.

    Die Tour dauert ungefähr eine Stunde, und nach vielen Felsen und Sprüngen – bei denen Seo jedes Mal anfängt zu beten – sind bald alle an die Aktivität gewöhnt. Und nach einer halben Stunde durchgefroren. «Das war sehr cool, ich würde es sofort wider tun», erklärt Seo, obwohl sie einen ganz anderen Eindruck hinterlassen hat.

    Die meisten Koreaner bleiben zwei Nächte in Interlaken, wie Remo Käser von Interlaken Tourismus erklärt. «60 Prozent reisen individuell an», erklärt Käser. Der Rest kommt in Gruppen (siehe Interview). Die Gäste kommen wegen des alpinen Erlebnisses, da sie vorher in Paris waren und nach Mailand weiterreisen würden, weiss der 32-Jährige.

    Bei so wenig Zeit gibt es nachmittags gleich wieder Programm: Auf dem Harder Kulm, um die Aussicht zu geniessen und ein Fondue zu essen. Das Restaurant hat sich vorwiegend auf arabische Gäste spezialisiert. Der Wirt erklärt: «Wir haben einen Zuwachs von 40 Prozent. Nun haben wir auch Menüs übersetzen lassen, die immer wieder von den Gästen mitgenommen werden.»

    Zwischen den arabischen Gästen sitzen Mijin Lee, Sohyun Jang, Jihyun Lee und Sunjoung Hwang an einem Tisch. Die 21-Jährigen waren am Tag zuvor mit dem Kajak unterwegs.

    Die vier Studentinnen haben ein Mittagsmenü vor sich, und in der Mitte steht ein Degustationsfondue. Wie man es essen muss, wird ihnen gezeigt.

    Wer denkt, dass sie das Essen niemals vertilgen würden, täuscht sich. Kein Wunder, denn die Studentinnen sind auf ihrer siebenwöchigen Reise mit knappem Budget unterwegs, sodass es oft nur eine Kimchi-Nudelsuppe aus dem Supermarkt zum Abendessen gibt.

    Die vier Freundinnen aus Busan nächtigen in der im Mai 2012 gebauten Jugendherberge am Bahnhof Ost in einem Sechserzimmer. Die Jugi verfügt über 60 Zimmer, darunter auch Doppel- und Familienzimmer. Ein hoher Anteil der 220 Betten wird von koreanischen Gästen belegt: 41.9 Prozent der Gäste, die im Juli hier übernachteten, stammen aus Korea, im Monat August waren es 37 Prozent.

    Die Jugi passte sich dem an, und seit Sommer gibt es im dazugehörigen Restaurant 3a am Frühstücksbuffet Reis und Misosuppe. «Viele Studierende nutzen auch unseren Aufenthaltsraum, den wir mit Mikrowelle ausgestattet haben, um ihr Essen hier aufzuwärmen», erklärt Debby Ronsdorf, die stellvertretende Betriebsleiterin.

    Auf die Frage, ob sie den gleichen Ärger wie mit arabischen Gästen, die öfters Hotelzimmer demolieren, habe, verneint Ronsdorf: «Bei Koreanern gibt es kein Rambazamba», versichert die 39-Jährige.

    Gleicher Meinung ist auch ein Ehepaar aus Matten, das gerade auf der Terrasse des Jugi-Restaurants beim Kaffee sitzt. «Koreaner sind sehr angenehm, was man nicht von allen Touristen behaupten kann», erklären die beiden. «Wir sagen immer, wenn wir nach Interlaken gehen, sind wir nicht mehr in der Schweiz», erklären sie lachend. «Aber wen es stört, muss ja nicht kommen. Wir wollen Tourismus hier, weil alle davon profitieren.»

    Von Koreanern profitiert Interlaken wirklich: Im Schnitt geben sie pro Tag 240 Franken aus, 60 Franken mehr als der Durchschnitt aller anderen Gäste.

    Koreaner waren 2014 in Interlaken für 73’675 Hotelübernachtungen verantwortlich. Sie sind damit die viertgrösste Gruppe, nach den Schweizern (187’387), China (128’179), den Golfstaaten (90’855). Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Anstieg von 27.3 Prozent und im Vergleich zu 2010 eine Verdoppelung.

    Das Ranking der Zahl der Logiernächte der Hostels führen die Koreaner sogar an: 67’462 Übernachtungen im Jahr 2014 oder ein Drittel aller Hostelübernachtungen in Interlaken. Das ist eine Steigerung zu 2013 um 50 Prozent.

    Wer denkt, dass in der Jugi abends was los ist, täuscht sich. Die Gäste sitzen ruhig in den öffentlichen Räume, wo es Wi-Fi gibt, um ihre E-Mails zu checken. Auch der Aufenthaltsraum ist frequentiert. Es riecht nach Nudelsuppe, und jeder Stuhl ist besetzt. Ansonsten ist es ruhig.

    Ein anderes Bild zeigt sich drüben in Matten bei Balmer’s Herberge, dem bekanntesten Hostel von Interlaken. In dessen Keller befindet sich der Klub Metro, wo eine Barmaid farbige Shots und Zuckerzeug verteilt.

    Allzu viele Koreaner sind nicht zu erblicken, genau genommen deren drei: «Wir machen einen Sprachaufenthalt in Frankreich und sind fürs Wochenende hierhergekommen», erzählen die drei Frauen. Noch sitzen sie mit ihrem Zimmergenossen vor einem Bier, und später werden sie auf der Tanzfläche die Hüften schwingen.

    Auch das Balmer’s spürt den Anstieg von koreanischen Gästen. «Jetzt sind es nicht mehr so viele, aber im Sommer waren zwischen 60 und 70 Prozent der Betten von Koreanern belegt», schätzt ein Mitarbeiter der Réception.

    Am Tag 3 nach dem Mittag kehren die vier Damen, die das Reisegeld daheim im McDonald’s verdient haben, wieder in die Jugendherberge zurück. Retour vom beliebtesten Reiseziel, dem Jungfraujoch. «Wir sind nur eine Stunde geblieben», erklären sie. In der Hand wieder eine Kimchi-Nudelbox, für die sie im Coop knapp 2 Franken gezahlt haben. Oben auf dem Jungfraujoch kostet die gleiche Box satte 7.90 Franken.

    Nach dem Nudelschlürfen nehmen sie ihre Koffer, die sie bereits in der Herberge deponiert hatten, und fahren um 15 Uhr ab. Nach Nürnberg, weil die Hotelzimmer in München wegen des Oktoberfests zu teuer sind. Gunpae – Prost und gute Weiterreise.

    * Die Reise wurde von Schweizer Jugendherbergen unterstützt

    Eine Produktion der BZ Berner Zeitung.

    Dammweg 9, 3001 Bern

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