In Schelten ist jeder achte Einwohner ein Gemeinderat
Ein Besuch in Berns kleinster Gemeinde
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Das Ortsschild. Eine Strasse ohne Mittelstreifen, einige Löcher. Rechts steht ein Haus, die Fassade blättert ab. Links das Restaurant. «A vendre» ist auf einem Plakat geschrieben. Dann kommt bereits die Ortsausfahrt. 23 Kilometer bis Moutier. So erlebt die kleinste Gemeinde Berns, wer über den Scheltenpass fährt.
Bild: Stefan Anderegg
Wir stellen den Blinker, biegen ab in eine Naturstrasse. Das Handy zeigt «kein Netz». Steine klappern gegen den Boden des Autos. Am Telefon hat der Mann nett geklungen. Thomas Hirsbrunner hat sich gefreut über das Interesse an Schelten. Zehn Jahre war er Präsident der Gemeinde, die aus acht Bauernhöfen besteht, aus 37 Einwohnern, aus einer Gesamtschule mit 7 Kindern. Schelten liegt am äussersten Rand des Kantons. Im Norden ist der Jura, im Süden Solothurn. Nur fünf Meter Wiese verbinden Schelten im Westen mit dem Rest des Kantons.
Thomas Hirsbrunner ist ein knochiger Mann, das weite Hemd weht wie eine Fahne um seinen Körper. Vor 23 Jahren zogen er und seine Frau hierher. Er hat fünf Kinder, und zwei weitere sind zur Pflege da. «Wir machen so viel wie möglich selber», sagt Hirsbrunner. Im Garten wächst Salat und Gemüse, «heuer haben wir auch Roggen gepflanzt». Zwei Kühe sind auf der Alp, drei sind hier.
«Ich wüsste nicht, warum ich die Stadt vermissen sollte», sagt Thomas Hirsbrunner.
Über den Steinweg rollen wir zurück zur Passstrasse. Zum Glück blieb Schelten die Schule – «das kulturelle Zentrum» – bisher erhalten, das hat Hirsbrunner noch betont. Er hofft auf Zuzüger mit Kindern. Finanziell geht es der Gemeinde schlecht. Rund 200000 Franken Budget hat Schelten. Der Steuerfuss liegt bei 2,2 Einheiten und ist damit der höchste in der Deutschschweiz. «Aber wir haben immer noch fünf Gemeinderäte», sagte Hirsbrunner. Jeder achte Einwohner sitzt im Rat. Fusionsgespräche gab es. Zusammen mit Moutier wollten sich elf Gemeinden zu «Grandval» vereinen. Doch Schelten und andere schieden aus. Man wollte nicht das ganze Projekt gefährden wegen einzelner Gemeinden, die vielleicht Nein gesagt hätten.
Ein Motorrad donnert über die Passstrasse. Neben dem Restaurant zeigt ein Wegweiser nach Süden. «Hinger-Huus Party» steht darauf.
Bild: Stefan Anderegg
Der Nebenverdienst eines Bauern. 160 Kühe weiden an den Hängen Scheltens. Nirgends in Bern gibt es mehr Kühe pro Einwohner. «Party-Kusi», so nennt sich der Bauer, hat sich ein weiteres Standbein geschaffen. Jedes Jahr kommen 2000 Leute auf seinen Hof für eine Goa-Party.
«Die Leute geben in der freien Natur wahnsinnig Gas», erzählte er 2014 dem «Bund».Mit uns will er nicht sprechen. Journalisten fragen immer das Gleiche, sagt er. Den letzten habe er «zum Teufel gejagt».
Beim Haus, dessen Fassade abblättert, treffen wir Elisabeth Wyss. Sie steht im Garten und schneidet Rosen. Ihre Söhne sähen das nicht gerne, erzählt die 81-Jährige. Sie habe «böse Beine». In der Küche serviert Wyss Kaffee und Kuchen. Die Wände sind voll mit Erinnerungen, Familienfotos, alten Uhren, einem Kruzifix. «Ich kenne alle Scheltner fast auswendig», sagt die Frau und lacht. Elisabeth Wyss ist die älteste von ihnen. Fast ihr ganzes Leben hat sie in der Gemeinde verbracht.
Das Wasser wurde noch von Hand aus dem Boden gepumpt, die Milch zu Fuss zur Käserei gebracht. «Es war schön hier», sagt Elisabeth Wyss. Vor neun Jahren ist ihr Mann gestorben, «ein guter Mann», wie sie sagt. Die 81-Jährige fährt noch Auto – ohne könnte sie kaum hierbleiben. Die Söhne rufen jeden Tag an. «Trotzdem bin ich etwas zur Einzelgängerin geworden», sagt Elisabeth Wyss. «Früher war es schöner als jetzt. Es war», sie überlegt, «es war extrem kameradschaftlich hier.»
Würde Schelten nicht zu Bern gehören, gäbe es die Gemeinde wohl nicht mehr. So aber sind Fusionsprojekte schwierig. Die Höfe von Schelten gehörten einst zum Kloster Moutier-Grandval, später zum Fürstbistum Basel. 1815 sprach der Wiener Kongress eben dieses Fürstbistum dem Kanton Bern zu. Die Gemeinde gehört deshalb seit jeher zum Amtsbezirk Moutier, obwohl dies vom geografischen Standpunkt aus völlig unlogisch erscheint.Es ist Josef Stolz, der diese Hintergründe erklärt. Sein Haus liegt am äussersten Zipfel des Kantons. Stolz ist der Dorfchronist.
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