Die weisse Strandstadt
Tel Aviv lockt mit glorreicher Küche, gastfreundlichen Menschen und vibrierendem Nachtleben.
«Ich mag Balagan, ein Durcheinander», erklärt Moshe Solomonov. Er lässt den Blick durch seine Werktstatt schweifen. Rechts stehen drei Kaffeeröstmaschinen, die Wände sieht man wegen den aufgehängten Werkzeugen nicht mehr, am Boden liegen Metallspäne.
Der 62-Jährige arbeitet mitten in Jaffo, dem orientalischen Stadtteil Tel Avis. Sein Atelier fällt zwischen hippen Cafés, Designläden und Boutiquen auf. Er stellt in der dritten Generation Kaffeeröstmaschinen her, die er in alle Welt verschickt. «Eine steht in der Schweiz», sagt der Ingenieur.
Seit 60 Jahren gibt es die Werkstatt und das Quartier hat sich in der letzten Dekade gentrifiziert. «Ich bleibe solange, wie ich kann», erklärt er.
Sein Arbeitsort gefällt sowohl Touristen wie auch Einheimischen: «Hochzeitspaare machen ihre Fotos bei mir. Hätte ich Geld verlangt, wäre ich längst in Pension», scherzt er. Das will er aber gar nicht, er liebt seine Arbeit. Früher war er Ingenieur in einem klimatisierten Büro und zwei Sekretärinnen.
Beim Spaziergang durch Jaffo wird es heiss, 32 Grad zeigt das Thermometer, doch das Meer ist nie weit. Die Abkühlung schon: Jetzt im September ist das Wasser 25 Grad warm, aber es erfrischt dennoch. Die Badeverbotsschilder werden von den Einheimischen ignoriert, sie lassen den Blick an den Horizont schweifen, um den Sonnenuntergang nicht zu verpassen.
An den 16 Stränden auf über 13 Kilometer trifft sich nach Feierabend Tel Aviv. Ein Stadtstrand ist ja noch nicht das Mass aller Dinge, doch dieser in Tel Aviv sind ohne jegliches Balagan, wie es Solomonov nennen würde: sauber und aufgeräumt. Die Städter sind sonnenverwöhnt, zählen über 300 Sonnentage und selbst im Januar ist es knapp 20 Grad warm. So kommt es nicht von ungefähr, dass Tel Aviv von National Geographics in die Top 10 der Strandstände gewählt wurde.
Die weisse Stadt, wie Tel Aviv auch genannt wird, wurde 1909 praktisch auf Sanddünen gegründet. Sie wuchs mit der orientalischen Hafenstadt Jaffo, und seit 1950 sind sie vereint.
Wer abends länger in Jaffa verweilt, sollte den Hafen besuchen. Gegen 19 Uhr sind alle Boote wieder im Hafen, die Netze aufeinander geworfen und die Fischer sitzen bei einem Schwatz zusammen. Ein Teil der alten Hallen wurde zu Restaurants mit industriellem Flair umfunktioniert.
In der Stadtmitte befindet sich der Rothschild Boulevard, der wichtigste der zahlreichen Boulevards der Stadt. Im Laubschatten spazieren orthodoxe Juden, in den Cafés sitzen Frauen im Miniröcken und die Restaurants an den Strassenrändern sind voll.
In der Hausnummer 29 befindet sich der Traum für alle, die gerne frühstücken: Das Benedict serviert täglich rund um die Uhr Zmorge. Selbst nachmittags muss man für einen Tisch anstehen. Die Wartezeit wird den Kunden mit Prosecco und Häppchen verkürzt.
Dass es 24 Stunden lang Frühstück gibt, ist für Tel Avivs Nachtschwärmer auch nötig, denn es laufen auch 24-Stunden-Partys.
Wer nach dem Stadtrundgang noch auf den Beinen sein mag, sollte in sich Nachtleben stürzen. Es wird in den höchsten Tönen gerühmt, besonders der Clara Club am Strand. «Der Klub ist nur cool, weil er am Meer ist», sagt Lisi, eine Bernerin, die hier ein Jahr lang lebte. Sie hat Recht: Die viel zu laute Musik klingt nach Bar- und Pubfestival, der Prosecco war flach und darüber hinaus alt, die Lichter provozierten einen Epilepsieanfall. Gut, dass man immerhin Wellen beobachten kann.
Da die meisten Klubs keinen Eintritt verlangen, bleiben die Tel Aviver auch nicht den ganzen Abend. «Man startet im Deli», klärt uns Lisi auf. Das Deli am Allenby 47 ist ein Fast-Food-Laden. Denkt man zuerst, aber durchquert man ihn, hört man schon leise die Bässe hinter der Türe. Und rein in die Dunkelheit. Es ist vor Mitternacht und die Party in vollem Gange.
Zweite Station ist das «Buxa» am Rothschild 31. «Das ist Underground», hört man, aber damit meinen sie nicht ein Geheimtipp, sondern dass es sich im Untergeschoss. Es ist laut, dunkel und eine Tanzfläche sucht man vergebens. «Es ist kein Klub, sondern eine Tanzbar», wird man belehrt. Anstelle des Dancefloors gibt es eine Küche, die hungrige Nachtschwärmer verpflegt.
Dritte Station ist das Labyrinth: Hier sind wir noch etwas früh dran, aber die Elektromusik ist super und der Barkeeper braucht drei Extraminuten, weil er den Beat wirklich mag und tanzen muss.
Vierte Station ist das Hotelbett, wo der Tinitus nachhallt.
Was für Schweizer der Samstag ist, ist für Isrealis der Shabbat, der Freitag. Die meisten haben frei und es ist genau der richtige Tag, um am orientalischen Carmel Market sich unter die Einheimischen zu mischen. «Shabbat Shalom» hört man sich die Einheimischen sich wünschen, ein schönes Wochenende. Dieses fängt an, wenn am Himmel die ersten sieben Sterne zu sehen sind.
Der Stand von Hedva Rodberg zieht mit den Miniaturzimmerchen die Blicke auf sich. Die 53-Jährige ist an zwei Tagen der Woche hier und den Rest braucht sie, um für Nachschub zu sorgen.
Doch das ist nicht ihr wahrer Beruf: «Ich war 25 Jahre lang Polizistin», erklärt die charismatische Frau. «Tel Aviv ist immer gefährlich, du weißt einfach nicht, wann wieder etwas passiert.»
Zwischen den Marktbesuchen sollte man ein Augenmerk auf die weissen Häuser werfen: In den Innenstadt sind rund 4000 Gebäude im so genannten Bauhausstil, wie der internationale Stil auch genannt wird, von der Unesco als Welterbe eingestuft worden. Schlichte Formen, gerade Linien, abgerundete Balkone und ohne jegliche Dekoration sind die Merkmale dieses Stils.
Geführte Touren oder Audioguides bietet das Bauhaus Center an, das sich beim Dizengoff Center befindet. Im oberen Stock des Ladens werden die kürzlich renovierten Häuser in einer Ausstellung vorgestellt.
Ein Blick auf die Karte zeigt: Der Bauhausstil ist gerade hier in Zentrum omnipräsent. Steht man beispielsweise auf dem Dizengoff Platz, sind alle Gebäude ringsherum im Bauhaus-Stil gebaut. Wer gerade gutes Timing hat, kann diese mit der klassischer Musik betrachten. Die Musik stammt aus der Feuer- und Wasserfontäne, die mitten auf dem Platz ragt.
Wie die Architektur ist auch die Küche international: «Wir sind ein Land von Einwanderern, mit Rezepten aus allen Herren Ländern», erklärt Ariel, der in einem Vorort lebt.
Auch Hummus, das man der israelischen Küche zuschreiben würde, sei beeinflusst. «Hummus schmeckt aber überall anders. Gehst du in den Norden von Israel, hat er Einflüsse aus Syrien. Im Osten von Jordanien und im Süden von Ägypten», sagt Ariel.
«Touristenfallen gibt es nicht, weil die Restaurants nicht auf Touristen angewiesen sind», erklärt Ariel weiter.
Tatsächlich sind die Restaurants (Tipps siehe Box) immer gefüllt. Wie überall in den heissen Ländern mögen sie klimatisierte Räume und so gibt es keine Wartezeiten für Touristen, die den lauen Abend lieber draussen geniessen.
Während Schweizer Küchen gegen 22 Uhr zu sind, bekommt man hier auf die Frage, ob man noch was essen könnte, die Antwort: «Natürlich.» Auch andere haben Hunger und die Köche allerhand zu tun.
Der überbackene Blumenkohl und das Ceviche stehen für den Geschmack der Kellnerin zu spät auf dem Tresen.
«Weil ihr so lange warten musstet, lade ich euch auf einen Shot ein», erklärt sie. Schenkt ein und prostet uns mit «Lachaim» zu.
* Die Reise wurde unterstützt von Travel.ch