Wer ist W. Nuss von Bümpliz?
Vor 19 Jahren veröffentlichte Büne Huber von Patent Ochsner den Song «W. Nuss vo Bümpliz». Seither ist kein Ochsner-Konzert ohne den Ohrwurm denkbar. Aber wer oder was wird da eigentlich besungen? Im Rahmen unserer Serie «Bern-West» machen wir uns auf Spurensuche.
Veeeeeenus vo Bümpliz, isch schön wie nes Füüür i dr Nacht . . .» – schon haben Sie den Refrain im Ohr, stimmts? Vielleicht freuen Sie sich jeweils, wenn der Hit von Patent Ochsner am Radio läuft, vielleicht ärgern Sie sich auch. Darüber, dass der Song nicht mehr aus dem Kopf zu kriegen ist. Man mag es Kitsch nennen, verbalsamiertes Pathos, Hippie-Pop. So oder so verbinden sich Songs wie «W. Nuss vo Bümpliz» untrennbar mit der eigenen Geschichte, vielleicht mit einem speziellen Moment, einer bestimmten Person oder einfach mit dem Sound, der im Kopf erklingt, wenn man an Bümpliz denkt. Die «W. Nuss» schmuggelt sich in den eigenen Rucksack wie ein Trittbrettfahrer. Und bleibt.
Umso erstaunlicher, dass an einer Redaktionssitzung zur laufenden BZ-Serie über Bern-West die Frage lange Gesichter auslöst, wer oder was eigentlich gemeint sei mit der «W. Nuss vo Bümpliz». Selbst die Musikredaktorin kann nur ein lapidares «Ich hab mal gehört, es gehe um eine alte Eiche» beisteuern. Eine Wissenslücke?
Eine erste, nicht repräsentative Umfrage im Freundes- und Kollegenkreis zeigt: Niemand der Befragten weiss mit Sicherheit, was es mit dieser Bümplizer Nuss oder Venus genau auf sich hat. Es könnte eine Kirche sein («Sie het d’Chiuchefänschterouge-n-off»), eine Frau («U we sie lachet wärde Bärge zu Schtoub») oder tatsächlich ein Baum («Sie het meh als hundert Ching/jede Früehlig gits es nöis»). Je tiefer man aber in diese Songzeilen eintaucht, desto klarer fischt man im Trüben.
Aber so schnell geben wir nicht auf. Packen den Stier bei den Hörnern und fragen direkt beim Verursacher des «Problems» nach. In einem Interview mit SRF Anfang des Jahres hatte Huber, selbst in Bümpliz aufgewachsen, gesagt: «Am Anfang hätte ich es vielleicht verraten, aber jetzt nicht mehr. Nach wie vor schreiben mir Leute, was es sein könnte. Ich habe schon so viel Quatsch darüber erzählt. Das ist amüsant, wir lassen das so laufen.»
Auch uns will der 53-Jährige nicht einweihen – Bünes Lippen blieben verschlossen. Öffnen wir also das Werkzeugköfferchen des investigativen Journalismus – und wenden uns dem Internet zu. Dort haben sich Fans bereits verschiedentlich zur Causa «W. Nuss vo Bümpliz» ausgetauscht. «Was ist los mit dieser W. Nuss???», fragte etwa «Tyneli» 2004 im Forum von Hitparade.ch. «W. Nuss steht für Venus, und Venus steht für L.I.E.B.E.», weiss «50timm», und während «ditech» den Text für pervers hält, sieht es «guitargod» pragmatischer: «Büne erzählt einfach eine Geschichte ohne Bedeutung, und jeder kann sich den Rest selber ausmalen.»
Nach nervenraubender Internetrecherche haben sich sechs Theorien herauskristallisiert, die entweder mehrmals genannt wurden oder sonst Sinn machen: Die W. Nuss soll demnach eine Prostituierte sein, eine Eiche, ein Brunnen in Bümpliz, eine Grassorte, eine Hebamme oder eine Kindergärtnerin. Die Prostituierte und die Grassorte schliessen wir aus diversen Gründen aus. Ausser, dass es eine Hanfsorte gibt, die Venus heisst, deutet textlich wenig auf eine psychedelische Drogenhymne hin.
Und für die Prostituierte spricht nur die mehrdeutige Passage «D’Spargle wachse i bluetjung Morge». Aber da scheint es – wenn überhaupt – eher um unschuldig-unkontrollierbare Triebe als um bezahlte Befriedigung zu gehen. Die Melodie erscheint ebenfalls unpassend, zu naiv-schwärmerisch der Refrain, zu erhaben-süsslich die Streicher. Da scheint eine andere Art von Liebe besungen zu werden. Ja: Wir landen gerade mit voller Wucht in der Klischeefalle, aber irgendwo muss man ja ansetzen.
Bleiben also die Eiche, der Brunnen, die Hebamme und die Kindergärtnerin. Gibt es in Bern-West eine besondere Eiche? Oder eine berühmte Kindergärtnerin?
Es ist Zeit für einen Informanten, einen Bümpliz-Experten. Auf Empfehlung hin wenden wir uns an Max Werren. Der 73-Jährige ist Vorstandspräsident des Schlossvereins Bümpliz und Ortshistoriker. Zurzeit schreibt er an einem Buch über Bümpliz, das nächstes Jahr erscheinen soll. Und Herr Werren hat Humor – das ist unser Mann. Dank Max Werren sind die Eiche und der Brunnen rasch ausgeschlossen. «Ich bin kein Baumspezialist, aber eine Eiche würde ich erkennen», sagt er. Und gäbe es in Bümpliz eine besondere Eiche, dann wüsste er das.
Auch bei den Bümplizer Brunnen kennt er sich aus. «Der Davidbrunnen, unser heutiger Dorfbrunnen, wurde im Mittelalter ursprünglich als Pendant zum Goliath am Christoffelturm gebaut. Wegen Streitigkeiten innerhalb der Kunstkommission erhielt er seine krönende Brunnenfigur aber nie.»Spannend, aber bekommen wir die Venus oder W. Nuss mit David und Goliath auf einen Nenner? Bei aller Fantasie: No Way – der Brunnen ist gestrichen.
Eine frühere oder aktuelle Kindergärtnerin mit Namen W. Nuss oder ähnlich ist Max Werren nicht bekannt, beim Stichwort Hebamme hakt er aber ein. Und wir horchen auf. «Es gab mal eine berühmte Bümplizer Hebamme, die halb Bümpliz zur Welt brachte», beginnt er zu erzählen. Einen Fiat Topolino habe sie gefahren. Das sei in den Vierzigerjahren gewesen. Sie sei immer ledig geblieben, und die Frauen hätten ein bisschen Angst vor ihr gehabt, weil sie wohl streng zu sein pflegte mit den Gebärenden. Wo einst das Bauernhaus war, in dem sie lebte, steht heute ein Hochhaus – und just in diesem Hochhaus wohnt Büne Hubers Mutter. Aha! Das Journalistenherz pocht. «Ob ich ihren Namen kenne? Nein, leider nicht.» Wenn diese Hebamme Waltraud Nussbaum heisst, dann haben wirs!
Aber so einfach ist es – Sie ahnen es – nicht. Niemand scheint sich an den Namen der Hebamme zu erinnern. Wir fragen in Altersheimen nach, auf der Strasse, googeln fiebrig. Nichts. Die Altersheimbewohner können sich entweder nicht mehr erinnern oder kamen im Spital zur Welt. Und dann schlägt unsere kleine Recherche auch noch eigene Wege ein. Eine der Altersheimbewohnerinnen habe nämlich Büne Hubers Mutter angerufen, erfahren wir, um zu fragen, wie das nun sei mit der W. Nuss und dieser Hebamme.
Frau Huber habe kurzerhand bei ihrem Sohn durchgeklingelt. Gemäss Gerüchten hat ers selbst ihr nicht verraten. Die Katze beisst sich in den Schwanz, und Zweifel kommen auf. Wollen wir das Geheimnis wirklich aufdecken? Kurz vor Weihnachten? Plötzlich fühlt es sich an, als ob wir das Ende einer spannenden Geschichte ungefragt in die Welt rausposaunen würden (Ja, lieber Büne Huber, wir empfangen Ihre Schwingungen). Trotzdem müssen wir weiterforschen, es kitzelt noch zu sehr.
Die Hebamme scheint eine heisse Spur und gleichzeitig eine Sackgasse zu sein. Also noch mal einen Schritt zurücktreten und das Problem aus der Distanz betrachten. Eine Variante, die wir bisher ausgeschlossen haben: Vielleicht ist mit Bümpliz gar nicht Bümpliz gemeint.
Der Zeitschrift «Schweizer Familie» sagte Büne Huber 1997: «Bümpliz eignet sich als Bild. Als Synonym für einen sehr überschaubaren Alltag. Bümpliz ist Bern, aber auch Schlafstadt, hat fast nur Wolkenkratzer. Ich wuchs da auf.» Interpretieren wir also etwas freier: Wir gehen davon aus, dass es um eine Frau geht.
Was wir auch wissen: Der Song wurde 1996 erstmals veröffentlicht, im darauffolgenden Jahr kam Hubers Tochter zur Welt. Es könnte also um das Muttersein an sich gehen. Eine Ode an jede Mutter, die den Alltag an einem stinknormalen Multikulti-Ort wie Bümpliz meistert.
Für diese These spricht auch folgender Satz aus einem Interview mit dem «SonntagsBlick» (1997): «Ich habe im letzten Jahr mehrere alleinerziehende Mütter kennen gelernt, vor allem in Madagaskar. Die stehen mit beiden Füssen fest im Alltag und meistern ihn mit unheimlicher Souveränität, Kraft und Fantasie. Das hat mich inspiriert.»
Hier halten wir inne. Und lassen das Geheimnis um W. Nuss unaufgedeckt. Büne Huber, der weise Mann, hat recht: Ohne Geheimnisse gibt es nur offene Bücher und leere Taschen.
Und so bleibt es mit der W. Nuss von Bümpliz wie mit dem Stern von Bethlehem: Über Sinnhaftigkeit und Wahrheitsgehalt lassen sich ganze Bücher und Zeitungsseiten füllen. Am Ende bleibt es Glaubenssache.
Eine Produktion der BZ Berner Zeitung.
Dammweg 9, 3001 Bern
Schreiben Sie uns an: kontakt@bzgrafik.ch
Lesen Sie weitere Multimedia-Reportagen
auf bzgrafik.atavist.com